Und ich frag mich,
was ich bin, was ich war,
in der Suppe das
Salz oder das Haar?
(aus
„Straße nach Norden“)
An einem Sonntag in Berlin fahr ich ein bisschen mit dem
Fahrrad durch die erweiterte Nachbarschaft. Plötzlich steh ich vor einem
einigermaßen schicken Café namens „Schwarze Pumpe“. Ein Bergwerksname aus der
Lausitz im Prenzlauer Berg, na sowas. Das Schild sieht auch original aus.
Sonntag in Schwarze Pumpe ist der Titel eines Liedes von Gerhard Gundermann,
Baggerführer und Rockpoet aus eben dieser Gegend in Sachsen, die ihre
Arbeitsplätze und ihre Zerstörung der Braunkohle verdankte. Er war Musiker und
Musikgruppenleiter, wollte sich aber nicht von seiner Kunst abhängig machen und
damit ihre Ehrlichkeit aufs Spiel setzen, so arbeitete er bis zur Auflösung seines
Bergwerks im Tagebau, machte danach eine Umschulung zum Tischler. Diese
Gradlinigkeit und Unverstelltheit zeichnet
seine Lieder aus, ob sie von kleinen Momenten des Alltags, dem Lauf des Lebens, Trauer, Wut oder Liebe erzählen.
Vor 15 Jahren am Sommeranfang, seinem Lieblingstag, ist
Gundermann gestorben, plötzlich, unerwartet, viel zu früh. Seine Lieder hab ich
in der Studentengemeinde in Greifswald nachts in der Küche kennengelernt.
Poetisch und rau erzählt er in seinem eigenen musikalischen Stil von kleinen
und großen Beobachtungen und von seiner Heimat, in die er nicht zurückkehren kann,
obwohl er sich nicht von der Stelle bewegt hat, eine Heimat, die er geliebt und
mit der er sich gestritten hat, an deren sozialistische Grundidee er aufrechter
geglaubt hat als ihre Führer.
Vor einigen Jahren als ich am 3. Oktober mit dem Auto von
meinem Elternhaus in Schleswig-Holstein in meine Unistadt in Vorpommern fuhr
und im Radio anlässlich des Tages der Deutschen Einheit ein Interview mit Marianne
Birthler hörte, sagte sie, auch wenn man dort eine schwere Zeit gehabt habe, könne
man nicht feiern, wenn das Elternhaus hinter einem abbrennt.
Gundermanns „Straße nach Norden“ hat mir diesen Aspekt
der Wende in der DDR Jahre später noch einmal klarer gemacht, ich kann mir vorstellen,
dass es ein Gefühl von Seekrankheit mit sich bringt, wenn man selbst nicht den
Ort gewechselt hat und trotzdem plötzlich alles anders ist.
Straße nach Norden
Obwohl ich selbst nur einige Erinnerungen an die DDR und
unsere Verwandten dort habe, sehe ich bei allen Entwicklungen auch heute noch
ihre Spuren nicht nur im Greifswalder Stadtbild. Und in den Menschen sieht man
sie auch noch, von beiden Seiten und nicht immer vorteilhaft. Bei einem
Praktikum im Hospiz sagt die Schwester am Abend: Sie kommen aus dem Westen,
oder. Es ist eigentlich eher eine Feststellung als eine Frage. Ja, sage ich,
woher wissen Sie das? Sie will sich nicht festlegen: Man merkt das einfach. Ich
kann mich nur beruhigen, dass mein Eindruck wenigstens nicht ganz schlecht sein
kann, sie wollte mich gleich für einen ganzen Monat anwerben…
Gerade bei älteren Westdeutschen ohne persönliche
Kontakte in die ehemalige DDR erlebe sogar ich eine überraschende Ignoranz, die
mich ahnen lässt, wie es sich anfühlt, wenn man unter ständigem Rechtfertigungsdruck
die eigene Biographie betreffend steht.
Hier bin ich geboren
Denn auch, wenn man Fehler gemacht hat – Gundermann etwa
war einige Zeit IM – erschwert auch die Respektlosigkeit der selbsternannten Richter das Zusammenwachsen dessen, was zusammengehört.
Die alte Heimat und Arbeit im Tagebau wird von Gundermann dabei nicht idealisiert, die Gefahren und die dadurch bedingten Todesfälle finden in seinen Liedern ebenso ihren Niederschlag, wie generelle Rückschau auf das Leben, eine Zwischenbilanz, an Mittsommer etwa, wenn es „für das Jahr auch nur noch bergab geht“.
Der Tod spielt in vielen seiner Lieder eine Rolle. Auch das
ist für mich Ausdruck seiner Haltung, die Augen vor der Realität nicht zu
verschließen. Auch andere Auseinandersetzungen mit der manchmal beunruhigenden Zukunft finden sich in seinen Liedern, aber einmal ist es für jeden Zeit zu gehen. Sein Einmal war dann doch noch
schneller da, als er sich wohl vorgestellt hatte. Vielleicht haben diese Lieder
aber denen, die um ihn trauern, dann helfen können.
Alle oder keiner
Das schönste Liebeslied hat er für seine jüngste Tochter
geschrieben, eigentlich hätte er noch eine Weile bleiben wollen…
Linda.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen